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Der Schatz der Wertschätzung

Von Wertschätzung und Fehlerfreundlichkeit

Der tiefe Wunsch gesehen und gehört zu werden, zählt zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. Der emotionale Boden, um innerlich ein stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen und sich sicher durch die Welt zu bewegen. Ein Kernelement ist das Erfahren von Wertschätzung - Anerkennung, Achtung und Würdigung von uns als Mensch in unserer jeweils individuellen Eigenart. Sie drückt sich in Respekt gegenüber einem Menschen aus. Wertschätzung ist also etwas ganz menschliches, ein emotionales Grundbedürfnis und wir brauchen sie alle.

 

Wertschätzung wird zumeist mit Lob und Anerkennung hinsichtlich erbrachter Leistungen gleichgestellt und damit in seiner Bedeutung ausgehöhlt, missinterpretiert und auch verkannt. Echte Wertschätzung ist aber eine positive Bewertung eines anderen Menschen, unabhängig von Taten und Leistungen. Sie erfasst den Menschen als gesamtes Wesen. Sie ist also mehr als nur Lob und positives Feedback sondern ruht auf einer echten inneren wohlwollenden Haltung. Durch gelebte Zugewandtheit, Aufmerksamkeit, echtem Interesse und Freundlichkeit  - nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gestik, Haltung und Mimik - wird sie  für uns spürbar. In vielen immer wieder kehrenden Momenten ist sie Teil des Notensatzes, der die Melodie unserer Beziehungen formt. Somit auch das nahrhafte Substrat in dem kleine Pflänzchen gut wurzeln können…

 

Erleben wir Wertschätzung werden in unseren Gehirnen die Botenstoffe Dopamin („Glückshormone“), körpereigene Opioide („Wohlfühlbotenstoffe“) und Oxytozin („Liebes- und Kuschelhormon“) ausgeschüttet und in weiterer Folge das Motivationssystem (Belohnungssystem) aktiviert. Wertschätzung ist also wie Balsam für unsere Seele und unser Gehirn. Sie ist so wohltuend, dass wir durch sie besonders gut lernen und uns entfalten können. Und wir spüren es ganzkörperlich, wenn sie uns geschenkt wird. Alles fühlt sich ein bisschen weicher, ein bisschen sicherer, ein bisschen wohliger an…

 

Als Kind diesen achtsamen Umgang zu erleben, absichtslos geliebt und angenommen zu sein, gilt als Basis für die Entwicklung zu einem selbstbewussten Menschen, der sich auch selbst wertschätzen kann. Als Elternteil wünscht man sich für sein Kind ein gutes Leben, in dem es mit den Anforderungen des Alltags überwiegend umgehen kann. Damit das gelingt, brauchen Kinder Vertrauen in sich und in das eigene Tun. Aber auch Vertrauen in die Welt. Das entwickelt sich, wenn man seine ganz persönlichen Bedürfnisse wahrnehmen, und seine eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die persönlichen Grenzen kennen lernen darf. Dazu brauchen Kinder erwachsene Bezugspersonen, die sie als Person und in ihrem Sosein annehmen. Indem ein Kind seine Erfahrungen in einem sicheren Beziehungsraum altersgerecht machen und sich selber kennenlernen und ausprobieren darf, erkennt es seine Stärken und Grenzen und entwickelt daraus Vertrauen in sich selbst. Indem wir als Eltern möglichst sichere, beständige gegenüber sind, die sie gut in die Welt hinein begleiten, entwickeln sie auch Vertrauen in die Welt.

 

Dies alles wächst im täglichen Miteinander. Denn Wertschätzung kann man in allem Kleinen und Großen im Alltag leben und vermitteln. Kinder lernen durch eigenes Erleben und durch die Vorbildwirkung. Vieles passiert hier ganz nebenbei und gar nicht bewusst – sowohl wertschätzendes als auch abwertendes Sprechen und Handeln. Wertschätzung ist dabei das Gegenteil zur Entwertung. Anstatt dass  Menschen klein gemacht und "zurechtgestutzt" werden, können sie sich in so einem Klima gut entwickeln und wachsen. Dabei stärken wir mit dieser gelebten Haltung nicht nur den anderen, sondern zugleich auch uns selbst. Es ist wie ein warmes und wohlwollendes Beziehungsfeld, das wir auf diesem Boden gemeinsam schaffen. Selbst wenn es hier auch Konflikte geben wird. Auch die tiefste Wertschätzung wird nicht zu einer Bilderbuchharmonie führen. Das wäre utopisch. Reibung gehört auch hier dazu. Auch bei größter Wertschätzung: Es geht nicht um Perfektion. Sondern um ein menschliches, fehlerfreundliches, nicht zu starres, sondern lebendiges Miteinander. Fehlerfreundlich und mitfühlend mit uns selbst -  fehlerfreundlich und mitfühlend mit anderen. Und gerade diese Fehlerfreundlichkeit nimmt uns im sozialen Miteinander enormen Druck, gibt uns allen Raum und Sicherheit und trägt dazu bei, (immer wieder) gut in Kontakt zu kommen und zu sein.

 

Unsere eigene Selbstwertschätzung ist das Fundament um auch andere wirklich in der Tiefe wertschätzen zu können. Dass wir beginnen die Schätze in uns selber wahrzunehmen, zu sehen und zu bergen. So können wir auch andere wirklich sehen, hören und wertschätzen.