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Sommerklumpen, Glimmer und unser Gehirn

Sommerklumpen, Glimmer und unser Gehirn

„Ich sauge den Sommer in mich ein wie die Wildbienen den Honig“, sagte sie. „Ich sammle mir einen großen Sommerklumpen zusammen, und von dem werde ich leben, wenn… wenn es nicht mehr Sommer ist. Und weißt du, woraus der besteht?“ Und sie erzählte es Birk.
„Es ist ein einziger großer Kuchen aus Sonnenaufgängen und Blaubeerreisig mit reifen Beeren und Sommersprossen, die du auf den Armen hast, und abendlichem Mondschein über dem Fluss und Sternenhimmel und Wald in der Mittagshitze. Voll von Sonnenlicht auf den Fichten und kleinen Regenschauern und all so was. Und voller Eichhörnchen und Füchse und Hasen und Elche und dazu alle Wildpferde, die wir kennen. Und auch noch unser Schwimmen und Reiten im Wald, ja, da hörst du, dass mein großer Kuchen aus allem besteht, was Sommer ist.“

 

© Auszug aus „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren

Vielleicht wusste Ronja Räubertochter schon ganz instinktiv etwas, was Dr. Deb Dana, eine amerikanische Traumaexpertin, unter "Glimmer" beschreibt. "Glimmermomente" sind quasi das Gegenteil von "Triggern", schreibt sie. Also jenen Reizen/Inhalten, die bei manchen Menschen Traumata und Erinnerungen an schlimme Erfahrungen wachrufen.

Es braucht manchmal kleine Anstöße, um dieses Gefühl von Freude und Glück wieder zu fühlen. Das kann durch den positiv besetzten Geruch aus der Kindheit, einem Foto, das mit schönen Erinnerungen verknüpft ist, dem Geschmack einer Lieblingsspeise oder ähnlichem geschehen.

Positive Stimmungen und Erinnerungen können wir mit Hilfe von kleinen Anstößen verstärken. Ein „Glimmer“ ist also in diesem Sinne das Gegenteil von einem Trigger. Glimmer können Momente von Leichtigkeit, Entspannung und Sicherheit in uns auslösen. Sie lassen das Gefühl entstehen, dass alles gut und die Welt gerade in Ordnung ist. Laut Deb Dana formen sie sogar "auf sanfte Weise unser Nervensystem um.“ Wenn wir diese Glimmer nutzen, dann haben wir die Möglichkeit, nach und nach unser Gefühl von innerer Ruhe und Sicherheit zu stärken.

Glimmer und unser Nervensystem

Wie wir uns fühlen, ob entspannt oder angespannt, hängt unter anderem auch mit unserem autonomen Nervensystem zusammen. Ganz vereinfacht gesagt, werden hierdurch Informationen von unserem Gehirn zu anderen Teilen in unserem Körper getragen. Es kann uns in Flucht- oder Kampfmodus versetzen, wenn wir bedroht werden oder uns bedroht fühlen. Es kann aber auch das Gefühl von Ruhe und Sicherheit in uns evozieren.

Glimmermomente können auf unser Nervensystem eben entspannend wirken - sie bauen so emotionalen Stress ab. Wenn wir bewusst Augen, Ohren und auch unser Herzen öffnen und gezielt nach Glimmern Ausschau halten, tun wir uns selber etwas Gutes. Wir stärken unseren Körper, unseren Geist und unsere Ressourcen. Sei dies bei einem Spaziergang in der Natur, bei dem wir bewusst den Duft des Waldes wahrnehmen, oder das Vogelzwitschern. Oder wenn wir unsere Füße in das kühle Nass des Sees strecken und dieses Gefühl ganz und gar in uns aufnehmen und auskosten.

Neuroplastizität und Achtsamkeit

Die gute Nachricht ist, dass wir mit Hilfe von Achtsamkeit diese Glimmermomente nochmals bewusster erleben können und in unserem Gehirn abspeichern können. Wie das besonders gut geht, hat Dr. Rick Hanson erforscht. Er ist Neuropsychologe und Experte für Neuroplastizität, inneres Wachstum und kontemplative Praktiken. Hanson erforscht und unterrichtet kurz gesagt wie Menschen ihr Gehirn gezielt stärken und ihr Herz öffnen können. Unter anderem, wie man gute Erfahrungen auch langfristig als Erfahrungen im Gehirn abspeichern kann. Jenseits von toxischer Positivität oder einer rosaroten Brille - um tatsächlich Positives wirklich wahrzunehmen und aufzunehmen. Denn leider hat unser Gehirn von Natur aus die Tendenz, sich auf Negatives zu fokussieren (Negativitätstendenz). Dies hatte evolutionsbiologisch Vorteile und sicherte unseren Vorfahren das Überleben.

Das "Gute" gezielt hereinholen

Wir müssen aber diese Neigung unseres Gehirns nicht einfach so hinnehmen. Indem wir uns dem Guten zuwenden (praktisch gemeint: dem was uns eher glücklich stimmt und hilft), gleichen wir diese Tendenz ein bisschen aus. Wenn wir uns dem gezielt zuwenden und es kultivieren, fließen diese guten Glimmermomente nicht mehr einfach so durch uns hindurch wie durch ein Sieb. Wir können sie tief in uns aufnehmen und einsinken lassen und sie so aktiv, tief im Gehirn als Teil unserer impliziten Erinnerung abspeichern. Taking in the good nennt Hanson das auch.

Gerade dieser Aspekt fließt auch in die ganz alltagstaugliche Praxis der Achtsamkeit für Eltern mit ein. Ich empfinde das als sehr hilfreich und stärkend und gebe Informationen im Sinne von Psychoedukation, sowie gezielte Übungen deshalb gerne an Klient*innen weiter. Es hilft uns dabei, uns nicht nur auf mögliche lauernde Gefahren zu fokussieren und so immer wieder Stress zu befeuern, sondern auch das zu sehen, was gut und hilfreich ist und es in uns zu verankern. Auf Dauer lädt dies potentiell immer mehr Ruhe und Sicherheit in unseren Körper ein und wirkt sich positiv auf unser Gefühl des in der Welt seins aus. Ein möglichst sicheres Grundgefühl ist es, das wir immer wieder brauchen, um gut in Beziehung zu sein. In Beziehung zu uns selbst und auch mit unseren Kindern, Partner*innen und generell mit anderen Menschen.

Also ganz im Sinne von Ronja Räubertochter, stärken wir uns damit und füllen unsere Akkus gut auf für die Herausforderungen die der Alltag so mit sich bringen kann.

»Ich sauge den Sommer in mich ein wie die Wildbienen den Honig«, sagte sie. »Ich sammle mir einen großen Sommerklumpen zusammen, und von dem werde ich leben, wenn… wenn es nicht mehr Sommer ist.«

 

Ronja Räubertochter

Dana, Deb. Die Polyvagal-Theorie in der Therapie: Den Rhythmus der Regulation nutzen, G.P. Probst, 2021.

Hanson , Rick. Achtsamkeit und die Neurobiologie der Liebe: Unser Gehirn für gesunde Beziehungen stärken, Arbor, 2018.

Hanson , Rick. Just One Thing: So entwickeln Sie das Gehirn eines Buddha, Arbor, 2015

Hanson, Rick. Das resiliente Gehirn: Wie wir zu unerschütterlicher Gelassenheit, innerer Stärke und Glück finden können, Arbor, 2019.

Mangold, Jörg. Wir Eltern sind auch nur Menschen!: Selbstmitgefühl zwischen Säbelzahntiger und Smartphone - Ein Selbsthilfebuch von der Neurowissenschaft zur konkreten Anwendung im Familienalltag, Arbor, 2018.